Förderung des Kindeswohls
Familienrecht: Staatliche Eingriffe in das Elternrecht
Autorin: Katja Müller, Rechtsanwältin für Familienrecht
Das OLG Braunschweig hat mit Beschluss vom 22.12.2022 (Az. 2 UF 122/22) über eine Einzelfallentscheidung zum staatlichen Eingriff in das Elternrecht entschieden.
Es gilt: Wenn das geistige, seelische oder körperliche Wohl von Kindern durch das Verhalten der sorgeberechtigten Eltern gefährdet ist, obliegt es dem Staat, die Kinder zu schützen.
§ 1666 BGB ist dabei die Zentrale Vorschrift des zivilrechtlichen Kinderschutzes und ermöglicht es, den Familiengerichten in solchen Fällen in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen. Das Sorgerecht stellt grundsätzlich ein subjektives Recht der Eltern dar, das sie im Interesse ihres Kindes auszuüben haben. Es betrifft sämtliche Lebensbereiche des Kindes und beinhaltet insbesondere auch die Entscheidung über seinen Aufenthalt, seine Schulwahl oder auch gesundheitliche Belange. Besteht in diesen Bereichen eine Gefährdung für das Kind, und sind die Eltern nicht bereit, dieser entgegenzuwirken, kann das Gericht ihnen Teile der Sorge oder auch das gesamte Sorgerecht entziehen.
Eingriffe in das Elternrecht kommen immer nur dann in Betracht, wenn von einer konkreten Gefahr für das Kind auszugehen ist. Das Gericht hat dabei auf Grundlage der Ermittlungen zu entscheiden, ob eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr vorliegt, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
Eine solche Einzelfallentscheidung hatte nun der Familiensenat des OLG Braunschweig zu treffen. Das erstinstanzliche Familiengericht hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter nach umfangreichen Ermittlungen Teile der elterlichen Sorge entzogen, um eine Unterbringung ihres 14-jährigen Kindes zu erreichen. Das Kind leidet unter frühkindlichem Autismus und hat einen sehr hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Das erstinstanzliche Gericht war der Auffassung, dass die Mutter langfristig nicht in der Lage sein werde, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen. Zwar habe der eingesetzte Sachverständige der Mutter die Betreuung zunächst zugetraut, jedoch führte er aus, dass damit zu rechnen sei, dass die Mutter mit fortschreitendem Alter ausfalle bzw. nicht mehr in der Lage sei, auf ihr Kind einzuwirken. Langfristig lasse sich daher eine Unterbringung nicht vermeiden.
Diese Entscheidung wurde durch das Oberlandesgericht Braunschweig aufgehoben, mit der Folge, dass die elterliche Sorge bei der Mutter verbleibt.
Nach Ausführungen des OLG stelle allein die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfalle, keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer für das Kind vorteilhaften frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertige nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge. Nach Ausführungen des OLG stelle sowohl die Mutter als auch die umfassende Betreuung des Kindes in der Schule sicher, dass die unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes gewährleistet würden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind hingegen vom Kinderschutzrecht – auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – nicht von dem Wächteramt erfasst.
Der Senat hat ferner berücksichtigt, dass die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt seine Gesamtsituation nicht verbessern würde, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwerer wiege.